Studieren in Corona-Semestern: Stellungnahme der Studentischen Vollversammlung

Bei der ersten digitalen Studentischen Vollversammlung am 22. März 2021, stimmten die anwesenden Studierenden folgender Stellungnahme mehrheitlich zu.

Auch Hochschulen sind von der Corona-Pandemie betroffen

Ein weiteres Corona-Semester geht zu Ende. Die Pandemie betrifft uns in allen Lebensbereichen und zeigt noch immer Handlungsbedarfe auf. Wir haben großes Verständnis für die Maßnahmen und unterstützen sie. Während jedoch seit Beginn der Pandemie im öffentlichen Diskurs pausenlos über die Situation der Wirtschaft, des Einzelhandels und (zu Recht) der Schüler*innen gesprochen wird, kommt die Perspektive und die Probleme der Studierenden beinahe gar nicht vor. Dabei sind auch diese vielfältig: Die ständige Unsicherheit unserer universitären und beruflichen Zukunft dauert zu lange an, Prüfungen werden verschoben, Seminare abgesagt – das alles nimmt Motivation und ist zermürbend. Auch für die Mitarbeiter*innen der Universität ist die Situation untragbar. Sie benötigen endlich eine Dienstvereinbarung zur Nutzung von Videokonferenzsystemen, die verstärkte Möglichkeit von Gleitarbeitszeiten und die Bereitstellung warmer Speisen.

Studium, Lehre und Prüfungen: Datenschutz beachten, Präsenzpflicht vermeiden

Nicht nur für die Studierenden, sondern auch für die Beschäftigten der Universität
ist es sehr wichtig, dass die Wohnung als Rückzugsort gewahrt bleibt. Die besonderen Umstände beider Gruppen dürfen nicht dazu führen, dass in ihre Privatsphäre eingedrungen wird oder Überwachungsmaßnahmen eingeführt werden, wie die doppelte Datenerfassung von Angestellten per Smartphone in Mensen und Cafeterien. Auch Proctoring, also die systematische Überwachung von Studierenden in Prüfungen, wird von uns strikt abgelehnt. Wir freuen uns, dass hier auch das Rektorat und die Dekanate klare Stellung beziehen. 

Um die Belastungen auch weiterhin abzufangen, begrüßen wir die vom Rektorat beschlossenen Maßnahmen der zusätzlichen Regelstudienzeitsemester, Beurlaubungsmöglichkei­ten und ausgedehnten Prüfungsfristen auch für kommendes Semester.

Wir fordern für das kommende Semester, Prüfungen wo möglich on- und offline, zumindest jedoch ohne Präsenzpflicht anzubieten und dies den Studierenden frühzeitig zu kommunizieren.

Im fortlaufenden Studien- und Lehrbetrieb müssen Möglichkeiten geschaffen werden, die den Austausch zwischen Studierenden sowie den Dozent*innen unkompliziert und barrierefrei ermöglichen. Dabei darf niemand dazu gezwungen werden, sich einer Infektionsgefahr auszusetzen. Es wird auch weiterhin eine besonders hohe Flexibilität zur Lehr- und Prüfungsgestaltung nötig sein. 

Finanzielles

Viele Studierende finanzieren und ermöglichen sich ihr Studium durch Nebenjobs. Nicht selten über Minijobs in der Gastronomie. Aufgrund der Pandemie sind vielen Studierenden diese Einkünfte weggebrochen. Die Notlage zeigt sich u.a. an der Menge der eingegangenen Anträge für die die Corona-Nothilfe des Bundes für Studierende.  

Diese Nothilfe war schon im Ansatz nicht geeignet, die Situation der Studierenden zu verbessern: Nicht nur wurden zu wenige Mittel zur Verfügung gestellt, sondern auch die Kriterien waren so realitätsfern angesetzt, dass nur ein Bruchteil der Anträge bewilligt wurde. Dieser Missstand wurde vom fzs (freier zusammenschluss von student*innenschaften) bereits im Juli kritisiert. [1] Daher fordern wir eine sofortige Öffnung des Bafög!

Im letzten Jahr wurden erneut 160 Millionen Euro von Bafög-Mitteln nicht abgerufen -Gelder, die derzeit vielen Studierenden existenzielle Sorgen nehmen könnten. [2] Ein weiterer Schritt, der sofort umgesetzt werden kann und finanzielle Not zumindest ein wenig abfangen kann, ist die Möglichkeit zur Aussetzung der Säumnisgebühr bei Semesterbeiträgen.

Wir möchten an dieser Stelle auf das Notlagenstipendium hinweisen, welches vom Studierendenrat eingerichtet wurde. Alle Studierenden der Universität Tübingen können sich darauf bewerben. [3]

Arbeitsplätze an der Uni

Nicht nur finanziell stecken viele Studierende derzeit in Schwierigkeiten. Gerade
der Wegfall des Arbeitsplatzes in Bibliotheken erschwert das Studium ungemein – daheim in der WG oder bei der Familie, mit schlechter Internetverbindung und fehlendem Schreibtisch arbeitet es sich deutlich schwerer, hinzu kommt die Belastung durch die fehlende Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz.

Um dieser Problematik zumindest etwas entgegenzuwirken, fordern wir die Öffnung der Bibliotheken und Seminarräume an der Universität als Arbeitsplätze. Warum sollten die Seminarräume leer stehen, während sie vielen Studierenden grundlegend helfen könnten? Zur Nutzung muss selbstverständlich ein angemessenes Hygienekonzept vorgelegt und durchgeführt werden, welches unter anderem die Anmeldung regelt. Dass Studierende zum Arbeiten nicht in Seminarräume und Bibliotheken dürfen, ist nicht tragbar.

Hochschuldemokratie stärken

Studierende sind keine Objekte universitären Handelns, sondern müssen als gleichberechtige Subjekte an der Universität wahrgenommen werden. Sie haben – ebenso wie Mitarbeiter*innen, Professor*innen und Angehörige des Mittelbau – eigene Interessen, die durch bloße Abfrage der Zustimmung zu fertigen Plänen nicht
angemessen berücksichtigt werden. Die Universität muss Raum geben, damit innerhalb der Statusgruppen und zwischen den Statusgruppen gemeinsame Linien gefunden werden können. Während der Corona-Krise wurden viele Entscheidungen durch das Rektorat und die Dekanate getroffen, ohne dass die Gremien oder die Statusgruppen angemessen beteiligt worden wären. 

Es reicht nicht aus, einfach nur „gehört“ zu werden. Studierende müssen sich befähigen, sich selbst an der Hochschule zu vertreten. Dafür müssen sie als gleichberechtige Partner*innen angesehen werden, die einen Beitrag leisten können – und müssen – zu einer gemeinsamen Überwindung der Krise. Ohne Studierende keine Universität!

Wir fordern verbesserte Kommunikation und transparentes Arbeiten seitens der Uni. Es kann nicht toleriert werden, dass Studierende, welche die absolute Mehrheit der Hochschulangehörigen darstellen, nicht in Gespräche des Krisenstabs einbezogen werden. Ebenso wenig ist das Ausladen des Personalrates akzeptabel. Eine langfristige Zusammenarbeit muss gewahrt bleiben.

 [1] https://www.fzs.de/2020/07/02/nothilfe-beantragung-ist-intransparent-ethisch-
 fragwuerdig-und-technisch-katastrophal-umgesetzt/

[2] https://www.fzs.de/2021/03/12/160-millionen-euro-bafoeg-mittel-nicht-ausgeschoepft- studierende-trotzdem-in-not/

[3] https://www.stura-tuebingen.de/foerderung/notlagenhilfe/

Nathalie Saccà

Studierendenrat Tübingen