Name und Umbenennung der Universität

Am 21. Juli 2022 stimmte der Senat mit 16 zu 15 Stimmen (bei zwei Enthaltungen) gegen die u. a. von der Studierendenschaft geforderten Streichung von Eberhard und Karl aus dem Universitätsnamen. War’s das dann jetzt? Wir glauben: Nein. Hier erfährst du, warum wir das so sehen, was bisher geschah und wie es jetzt weitergehen kann.

Zu sehen sind Zeichnungen von Eberhard (in der linken Bildhälfte) und Karl Eugen (in der rechten Bildhälfte, hängt verkehrt vom oberen Bildrand), jeweils mit einem schwarzen Streifen über den Augen, auf einem diagonal geteilten, zur Hälfte roten und zur Hälfte blau-grünen Hintergrund. Auf Eberhard zeigt ein Pfeil, an dem steht: "Hat Jüd*innen aus Tübingen vertrieben". Auf Karl Eugen zeigt ein Pfeil, an dem steht: "Hat arme Bauern als Soldaten verkauft". Darunter steht in weiß auf schwarzem Grund: "Die Universität Tübingen benennt sich nach einem Antisemiten und einem Menschenhändler - bis heute".

Die Entscheidung, die keine sein darf

„Der Name Eberhard Karls Universität Tübingen bleibt bestehen“ vermeldet die Universität am 21. Juli 2022 nach der öffentlichen Senatssitzung. Das Abstimmungsergebnis machte deutlich, dass nicht einmal die Hälfte des Senats noch hinter dem bisherigen Namen steht – 16 von 33 stimmberechtigten Mitglieder stimmten für die Beibehaltung, 15 für die Umbenennung, 2 mit Enthaltung. Zugleich zeigten sowohl die sehr hohen Besuchszahlen im Festsaal als auch die Redebeiträge, wie viel der Universitätsname mit dem Thema Identität zu tun hat. Ein Name allerdings, hinter den sich nicht einmal die Hälfte der Universitätsgemeinschaft stellen kann, kann nicht zugleich als Identitätsstiftung fungieren. Wir finden: Die Universität muss sich ernsthaft der Frage stellen, wie sie diesen Widerspruch auflösen kann. Sie kann das Abstimmungsergebnis nicht nur unter seinen rechtlichen Konsequenzen betrachten – Eberhard und Karl bleiben Namensbestandteil – und zur Tagesordnung übergehen, als sei nichts gewesen.

Auf der anderen Seite stehen 16 Senator*innen, die sich aktiv für die weitere Ehrung von Eberhard I. und Karl Eugen im Universitätsnamen ausgesprochen haben. Das führt für die Universität zu einem Dilemma: Einerseits haben die Befürworter*innen immer argumentiert, der Name sei nie eine Entscheidung gewesen, sondern historisch gewachsen und dürfe auch nicht als Ehrung verstanden werden. Jetzt aber hat sich die Universität – knapp – für diesen Namen entschieden, nicht zuletzt mit dem Argument, Eberhard und Karl hätten ja auch viel großes geleistet. Der Name, der angeblich weder Entscheidung noch Ehrung sein solle, wurde nun in der Anerkennung vermeintlich großer Taten aktiv bestätigt.

Wie die Universitätsleitung dieses Dilemma auflösen will, ist uns noch nicht bekannt. Immerhin wurde eine weitere Aufarbeitung der Universitätsgeschichte sowie eine Professur für jüdische Geschichte versprochen. Unsere Aufgabe sehen wir darin, sie und die universitäre Öffentlichkeit an dieses Versprechen zu erinnern, uns nicht mit – wichtigen, aber halbgaren – Hinweisschildern und ein paar Studium-Generale-Vorträgen abspeisen zu lassen und zu zeigen: Es gibt viele in der Universitätsgemeinschaft, die mit zwei Monarchen im Namen nichts anfangen können und die das Studieren, Lehren, Forschen und Arbeiten an einer „Universität Tübingen“ fordern.

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FAQ

Das FAQ hier ist eine aktualisierte Version der Auflistung, die wir bereits vor einigen Monaten veröffentlicht haben. Eine ausführliche Begründung unserer Position findet sich in unserer Stellungnahme.

Euch fehlt etwas? Ihr findet eine Frage oder eine Antwort uneindeutig? Schreibt uns gerne unter cbyovy@fghen-ghrovatra.qr

Worum geht es eigentlich in dieser Diskussion?

Es geht um die Frage nach dem Namen der Universität Tübingen. Bisher heißt sie „Eberhard Karls Universität“ nach ihrem Gründer Herzog Eberhard I. im Bart und dem späteren württembergischen Herzog Karl Eugen. Manche Gruppen wie wir, die Verfasste Studierendenschaft, und die Jüdische Studierendenunion Deutschland fordern, die beiden Monarchen aus dem Namen zu streichen und die Universität einfach „Universität Tübingen“ zu nennen. Ein entsprechender Antrag im Senat der Universität scheiterte: 48,5% stimmten für den bisherigen Namen, 45,5% für die Änderung.

Ist diese Forderung neu?

Die erste – uns bekannte – Forderung nach einem anderen Namen kam 1977 nach dem Tod Ernst Blochs auf. Die Studierendenschaft forderte damals und noch viele Jahrzehnte später die Umbenennung der Tübinger Universität in „Ernst-Bloch-Universität“. Damals ging es aber nicht – im Unterschied zu heute – primär um die Kritik an Eberhard und Karl, sondern um eine Ehrung des Philosophen Bloch. Außerdem steht in der jetzigen Debatte eine Benennung nach einer anderen Person gar nicht im Raum, sondern lediglich die Streichung des Namensteils „Eberhard Karls“. Mit der „Universität Tübingen“ könnten sich – anders als bisher – alle Universitätsangehörigen identifzieren, ohne Einzelpersonen zu ehren.

Wie kam es zur aktuellen Debatte?

Im Juli 2020 beschloss die Verfasste Studierendenschaft, sich für die Streichung des Namensteils „Eberhard Karls“ und für einen demokratischen Namensfindungsprozess einzusetzen. Die Forderung wurde damals vom Senat der Universität abgelehnt. Nach öffentlichem Druck, u. a. durch den Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg Michael Blume und die Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion Württemberg (JSUW) Hannah Veiler entschied sich das Rektorat dazu, dem Senat vorzuschlagen, eine Kommission mit der Erstellung eines Gutachtens bezüglich der beiden Namensgeber zu beauftragen.

In der Zeit zwischen der Veröffentlichung des Gutachtens und der Abstimmung am 21. Juli 2022 gab es eine Vielzahl von Gesprächen, eine Podiumsdiskussion, einige Zeitungsartikel und eine Stellungnahme der Verfassten Studierendenschaft.

Wer kann über den Namen entscheiden?

Der Name der Universität ist in der Universitätsgrundordnung festgelegt. Eine Änderung erfolgt daher durch eine Änderung an dieser Grundordnung, die mit einer 2/3-Mehrheit durch den Senat, das gewählte höchste Gremium der Universität, vorgenommen werden kann. Dort sitzen derzeit 35 Stimmberechtigte, d. h. es müssten mindestens 24 Senator*innen für eine Umbenennung stimmen. Höchstens 11 dürften dagegen stimmen oder sich enthalten.

Wie lief die Debatte im Senat?

Die Sitzung des Senats im Festsaal der Neuen Aula war außerordentlich gut besucht. Dem Applaus nach zu urteilen waren die Positionen dabei relativ ausgewogen vertreten – ähnlich wie im Senat selbst. Die Redebeiträge fokussierten, neben einer Wiederholung der bereits gewechselten Argumente, stark auf die kulturelle und emotionale Identität, die von vielen mit dem Namen verbunden werde. Das zeigt: Die Diskussion ist keine zwischen einer „überemotionalen“ und einer „rationalen“ Seite, sondern eine, die auf allen Seiten von Emotionen und subjektiven Erfahrungen geprägt ist. Und: Die Debatte ist eben nicht von der heutigen Zeit zu trennen. Der berüchtigte historische Kontext spielt zwar eine wichtige Rolle – aber eben nur zur Beurteilung im historischen Kontext, nur zweitrangig für die (politische) Entscheidungsfindung im 21. Jahrhundert.

Wie lief die Abstimmung?

16 von 33 stimmberechtigten Senator*innen stimmten für die Beibehaltung des bisherigen Namens, 15 für eine Umbenennung in „Universität Tübingen“, 2 enthielten sich. Da für eine Umbenennung eine 2/3-Mehrheit nötig gewesen wäre, war der Antrag der Verfassten Studierendenschaft damit abgelehnt.

Was ist die Position der Verfassten Studierendenschaft?

Wir als Verfasste Studierendenschaft fordern die Streichung des Namensteils „Eberhard Karls“ zugunsten der Bezeichnung „Universität Tübingen“. Wir finden: Eine demokratische Universität in einer demokratischen Gesellschaft braucht sehr gute Gründe, um Einzelpersonen durch Namensgebung eine dermaßen große Ehre zu erweisen. Diese Gründe sehen wir weder bei Herzog Eberhard I. noch bei Herzog Karl Eugen in ausreichendem Maße, dafür aber sehr viele Gründe gegen eine Benennung nach ihnen (siehe unten für mehr). Nicht zuletzt repräsentieren beide historischen Personen eine Regierungsform, die unserer heutigen – der Demokratie – radikal entgegensteht.

Die Abstimmung am 21. Juli 2022 hat gezeigt, dass der bisherige Name keine Mehrheit im Senat hat. Wir wollen einen Namen, hinter dem die gesamte Universitätsgemeinschaft stehen kann.

Aber ihr sagt doch immer, dass der Senat die Mehrheiten an der Universität nicht gut abbildet! Warum seid ihr jetzt anderer Meinung?

Der Senat ist das höchste Gremium der Universität und wird regelmäßig gewählt. Allerdings sind die Statusgruppen nicht proportional abgebildet. Bspw. haben die Studierenden, mit Abstand die größte Statusgruppe an der Universität, gerade mal 4 von 35 Sitzen, die Professor*innen jedoch 18. Das macht es für studentische Interessen so schwer, gehört zu werden, geschweige denn sich durchzusetzen.

In der Abstimmung über den Namen bekam der studentische Antrag aber 15 Stimmen und damit fast die Hälfte aller Stimmen. Wenn selbst der Senat, in dem studentische Anliegen häufig unter den Tisch fallen, in dieser Frage so gespalten ist, ist das ein Zeichen dafür, dass auch in der gesamten universitären Öffentlichkeit die Zustimmung zum Antrag hoch ist. Man kann sogar davon ausgehen, dass sie höher ist als im traditionell eher konservativen Senat.

Fordert ihr einen anderen Namen wie z. B. „Ernst-Bloch-Universität“ oder Ähnliches?

Nein. Während die Studierendenschaft und viele andere Gruppen in der Vergangenheit diesen Namen gefordert haben – was wir würdigen und respektieren -, hat die Verfasste Studierendenschaft diesmal keine*n neue*n Namensgeber*in vorgeschlagen. Das heißt: Bei einer Umbenennung würde(n) keine Einzelperson(en) mehr gewürdigt.

Ist es in euren Augen zeitgemäß, eine Universität nach Monarchen zu benennen?

Nein. Die deutsche Monarchie wurde 1918 von der Demokratie abgelöst, der Adel hat seine politische Macht verloren. Dass Institutionen wie unsere Universität bis heute ohne Bruch nach den damaligen Herrschern benannt werden, ist ein anachronistisches Relikt aus vordemokratischer Zeit. Es gibt keinen Grund, warum eine demokratische Universität in einer demokratischen Gesellschaft weiter an ihrer Benennung nach Herzögen festhalten sollte.

Die richtige Frage ist nicht: Warum nicht weiter nach zwei Monarchen benennen? sondern: Warum haben wir damit nicht schon viel früher aufgehört?

Wer war eigentlich dieser „Eberhard Karl“?

Obwohl es aus dem Namen nicht direkt hervorgeht, ist die Universität Tübingen nicht nach einer, sondern nach zwei Personen benannt. Unter Graf Eberhard V. im Bart (1445-1496, ab 1495 Herzog Eberhard I.) wurde die Universität im Jahr 1477 gegründet, was die Stadtgeschichte unter vielen Aspekten stark beeinflusste – wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich. So profitierten das Umland und die Stadt selbst wirtschaftlich von der Universitätsgründung und gewannen an Relevanz. Zugleich veranlasste Eberhard bei der Gründung aber auch, dass die jüdischen Einwohner*innen der Stadt ihr Wohnrecht verloren; in seinem Testament weitete er dies auf sein gesamtes Herrschaftsgebiet Württemberg aus (siehe unten).

Der zweite Namensgeber ist Herzog Karl Eugen (1728-1793), der die Universität finanziell unterstützte und ausbaute, sich selbst 1767 zum „rector perpetuus“ – zum ewigen Rektor – ernannte; zwei Jahre später gab er der Universität den Doppelnamen. Karl Eugen vermietete in seiner Amtszeit als absolutistischer Herrscher aber auch Untertan*innen an andere Länder und Unternehmen, die diese für kolonialistische Kriege benutzten (siehe unten).

Seit 1769 ist unsere Universität – mit Brüchen – also nach Eberhard und Karl benannt – ohne, dass es seither je eine breite Diskussion über diese Namensgebung gab.

Warum ist die Universität nach Eberhard benannt?

Vom Spätmittelalter bis in das 19. Jahrhundert war es im deutschen Raum üblich, Universitäten nach ihren Gründern zu benennen (Kommission 2022, 2-3). Das war für die Herrscher erstens auf einer weltlichen Ebene wichtig, weil eine solche Universitätsgründung mit viel Prestige verbunden war, zweitens auf einer religiösen, denn nicht nur zum – scheinbaren oder tatsächlichen – Wohle des Landes zu handeln galt als fromm, sondern auch die Ausbildung neuer Theologen, die das Christentum predigen und weiterverbreiten sollten. So war auch klar, dass die neue Universität in Tübingen nach Herzog Eberhard I. im Bart benannt würde. Denn auch wenn Eberhards Mutter Mechthild von der Pfalz vermutlich einen starken Einfluss auf die Gründung hatte (Kommission, 5-6) und viele weitere Personen beteiligt und relevant waren, ging die Ehre dafür allein auf ihn als den Monarchen über.

Hier setzt eine häufig geäußerte (feministische) Kritik an: Das Argument, Eberhard habe die Universität gegründet und verdiene daher auch Anerkennung dafür, lässt außer Acht, dass zahlreiche für die Universität wichtige Persönlichkeiten wie Mechthild beim bisherigen Namen unter den Tisch fallen.

Indem wir Eberhard als „herausragend“ in der Reihe dieser für die Universität wichtigen Personen ehren, reproduzieren wir auch das patriarchale, monarchistische System, das den Namen hervorgebracht hat.

Und warum ist die Benennung nach ihm für euch ein Problem?

Im sog. Freiheitsbrief, den Eberhard der Universität bei ihrer Gründung 1477 ausstellte, befahl er der Stadt Tübingen (nach dem Vorbild von Erzherzog Albrecht VI. bei der Gründung der Universität Freiburg) Folgendes: 

„Wir wöllent ouch und gebieten ernstlichen denen von Tüwingen, das sie kein juden, ouch sust keinen offen wucherer by in, in der stat oder in iren zwingen und bennen laussen wonhafft beliben.“

Das bedeutet: Alle Jüd*innen, die noch in der Stadt wohnen, müssen sie verlassen. Durchgesetzt wurde das vermutlich einfach dadurch, dass keine neuen Schutzbriefe mehr ausgestellt wurden. Denn Jüd*innen im Württemberg des 15. Jahrhunderts waren darauf angewiesen, dass sie diese Schutzbriefe – eine Art Aufenthaltsgenehmigung – regelmäßig vom Herrscher ausgestellt bekamen. Wenn Eberhard sie nicht mehr ausstellte, erlosch also nach ein paar Jahren die Genehmigung zum Aufenthalt in Tübingen. Das Gutachten nennt dieses Prinzip „schleichende Ausweisung“. Dass das nicht nur ein „Ausrutscher“ von Eberhard war, zeigt eine Verordnung in seinem Testament von 1492. Dort schreibt er: 

„Item es ist och unnser ordnung und letster will, das furohin unnser erben in unnser herrschaft kainen juden seßhafft wonen noch dehain gewerb tryben lassen.“

Diese Formulierung wiederum findet sich auch bei seinem Onkel, Pfalzgraf Friedrich dem Siegreichen. Hier wird festgelegt, dass „furohin“, also in Zukunft, Jüd*innen weder wohnen noch arbeiten dürfen – in der gesamten Herrschaft Württemberg. Dieser Beschluss war sehr nachhaltig: Über Jahrhunderte hinweg wurden Jüd*innen aus Württemberg ausgeschlossen, in Tübingen konnte sich Leopold Hirsch als erster Jude erst 1855 das Bürgerrecht erstreiten – nach fast 400 Jahren ohne jüdisches Leben! Die Stadt galt im 19. und 20. Jahrhundert als antisemitische Hochburg. Auch das Gutachten stellt fest, dass dieses Testament eine „weitreichende Bedeutung für die von heftiger Judenfeindschaft geprägte Politik Württembergs seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert“ hatte.

Wenn die Benennung unserer Universität nach Eberhard heute bestätigt wird, ehren wir damit aktiv auch diese jüd*innenfeindliche Politik des Herzogs und ihre katastrophalen Auswirkungen für die von der Vertreibung betroffenen Jüd*innen. Aus diesem Grund setzen wir uns dafür ein, dass sein Name aus dem Namen der Universität gestrichen wird.

Ein weiteres, oft geäußertes Argument kommt aus einer feministischen Perspektive: Auch Eberhards Mutter Mechthild von der Pfalz hatte vermutlich einen starken Einfluss auf die Gründung (Kommission, 5-6). Ebenso waren in der Geschichte der Universität viele weitere Personen an ihrem Erfolg maßgeblich beteiligt.

Das Argument, Eberhard habe die Universität gegründet und verdiene daher auch Anerkennung dafür, lässt außer Acht, dass zahlreiche für die Universität wichtige Persönlichkeiten wie Mechthild beim bisherigen Namen unter den Tisch fallen.

Indem wir Eberhard als „herausragend“ in der Reihe dieser für die Universität wichtigen Personen ehren, reproduzieren wir auch das patriarchale, monarchistische System, das den Namen hervorgebracht hat.

Waren damals nicht alle irgendwie antijüdisch eingestellt?

Das gesamte europäische Hoch- und Spätmittelalter war wie auch die Neuzeit stark von Antijudaismus bzw. Antisemitismus geprägt. Pogrome in deutschen Städten, in der Pestzeit und während der Kreuzzüge, sog. Judenprozesse und Vertreibungen kamen immer wieder vor. Auch in der Kunst finden sich immer wieder antijüdische Darstellungen, im Württemberg unter Eberhard wurden einschlägige Bildnisse beispielsweise in der Tübinger und der Stuttgarter Stiftskirche sowie im Kloster Blaubeuren installiert, wie Stefan Lang (2008) beschreibt. Gleichzeitig gab es aber auch starke regionale Unterschiede – die jüdische Gemeinde in Worms beispielsweise konnte ein bis auf wenige Jahre durchgehendes Bestehen seit dem 11. Jahrhundert bis zum Faschismus zurückblicken, auch Kaiser Friedrich III. hatte in dieser Zeit eine deutlich liberalere Jüd*innenpolitik, ebenso der andere Württemberger Landesteil unter Ulrich V. – und auch Württemberg andere Töne: Johannes Reuchlin (1455-1522) beispielsweise kämpfte gemeinsam mit den sog. Dunkelmännern gegen die Verbrennung jüdischer Schriften und den Glauben an antijüdische Verschwörungstheorien an. 

So oder so: Eberhard machte als Herrscher konkrete antijüdische Politik, die er direkt an die Universitätsgründung band und die dramatische Auswirkungen auf das Leben der damaligen Jüd*innen hatte. In Tübingen hielt der Bann nachezu 400 Jahre, bis sich 1855 Leopold Hirsch das Bürgerrecht erstritt.

Selbst wenn Eberhard damit mehr oder minder im „Geist der Zeit“ handelte, ist dieser „Geist“ nicht mit unserer Universität von heute vereinbar. 

Übernehmt ihr damit nicht die Deutung z. B. der Nazis, die in Eberhard ein antisemitisches Vorbild sahen?

Aus dem Jahr 1938 stammt ein kleiner Prachtband (Württembergische Landesbibliothek 1938), in dem Eberhard u. a. wegen seiner „Judenpolitik“ gepriesen wird. Er dient als Legitimationsfigur für den Nationalsozialismus, der sich in Eberhards Tradition sieht. Diese Deutung Eberhards hin auf das „Ziel“ Faschismus ist natürlich grober Unfug, darüber gibt es gar keine Diskussion. Dennoch machen wir es uns zu leicht, wenn wir vor einer Einordnung Eberhards in den antijüdischen Zeitgeist zurückschrecken, aus Angst, faschistischen Autor*innen zuzustimmen.

Im Gegenteil: Ihre Deutung ist überhaupt nicht notwendig (und vielen Universitätsangehörigen vermutlich noch unbekannter als seine Biographie selbst), um eine angemessene historische Einordnung vorzunehmen. In seiner Regierungszeit vertrieb Eberhard die Jüd*innen für knapp 400 Jahre aus Tübingen und sorgte dafür, dass sie nach seinem Tod aus ganz Württemberg vertrieben wurden. Punkt. Dass die Nazis diesen Fakt für sich instrumentalisiert haben und ihn zu einer Kultfigur machten, ändert daran nichts.

Eberhard hat doch auch vieles geleistet, bspw. die Universität gegründet. Sollten wir ihm das nicht anrechnen?

Ja, Eberhard hat – unter dem Einfluss seiner Mutter und vieler anderer Menschen aus seinem Umfeld – die Universität gegründet. Und er hat diese Gründung direkt mit der Vertreibung der Jüd*innen aus Tübingen verbunden. 

Das ist kein Widerspruch, wie auch Hanna Veiler in der Podiumsdiskussion vom 05. Juli 2022 betonte. Beides gehört zu Eberhard. Und die Verfasste Studierendenschaft ist der Ansicht, dass unsere Universität nicht nach einem Antijudaisten benannt werden soll – auch wenn er sie gegründet hat.

Und was habt ihr gegen Karl?

Herzog Karl Eugen (1728-1793) fällt mit seiner Regentschaft ab 1737 (mündig ab 1744) in die End- und Hochphase des Absolutismus. In der „Hohen Carlsschule“ ließ er begabte Kinder wie den jungen Friedrich Schiller gegen ihren Willen und den ihrer Eltern jahrelang einsperren. Schiller durfte in diesen sieben Jahren seine Familie nicht sehen und wurde gezwungen, im Anschluss Jura und Medizin zu studieren. (Müller, Häuser 2007) Der Gründer einer solchen Institution ist schon deshalb fragwürdig als Mitnamensgeber einer heutigen Universität.

Gravierender ist der Menschenhandel, den er betrieb. Karl Eugen besserte seine Finanzen, die durch die Bauten großer und prächtiger Schlösser belastet waren, u. a. mit dem Verkauf von Soldaten auf. So überließ er ab 1781 gegen Zahlung mit dem sog. Kapregiment 3200 Soldaten der niederländischen Ostindienkompanie, die koloniale Interessen verfolgte. Die Bilanz war katastrophal: 7% der Soldaten überlebten nicht einmal die Überfahrt nach Kapstadt, ein großer Teil der übrigen Soldaten wurde auf Java im indischen Ozean im Stich gelassen. Insgesamt starben 72% aller Mitglieder des Regiments, gerade einmal 100-200 Menschen schafften es zurück nach Württemberg. 

Als der Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart diese Praxis kritisierte und eine zugegebenermaßen nicht gerade nette Kritik an dem Monarchen und seiner Mätresse Franziska von Hohenheim schrieb, wurde er von Karl Eugen für zehn Jahre in Festungshaft auf den Asperg gebracht. Erst nach einer Intervention Preußens und zahlreichen Protesten kam er wieder frei.

Ein Absolutist, der seine Untertanen verkauft und in kolonialen Unternehmungen kämpfen lässt, der Kritik daran mit Festungshaft und Umerziehung bestraft, der Kinder in Internate sperrt, kann in unseren Augen nicht mit der Namensgebung unserer Universität geehrt werden. 

Diese von uns an Karl Eugen kritisierten Punkte fallen wohlgemerkt in die zweite Phase seines Lebens, die in der Landeskunde traditionell als seine mildere verstanden wird.

Aber das war doch normal, schließlich reden wir von der Zeit des Absolutismus!

Im Absolutismus war es nicht unüblich, dass Herrscher ihre Untertanen als Soldaten an andere Länder verkauften. Bei diesen sog. Subsidienverträgen stand meist ein politisches Interesse im Hintergrund: Ein Herrscher konnte so z. B. einen Verbündeten zusätzlich unterstützen. Bei Karl Eugen ging es jedoch um rein finanzielle Interessen, wie Hans-Martin Maurer (1988) in seinem Artikel über das Kapregiment darlegt.

Warum ist euch das überhaupt so wichtig? Es geht doch nur um einen Namen und heute weiß eh niemand mehr, auf wen sich der bezieht.

Beim Namen einer Universität haben wir es mit einer Ehrung zu tun, d. h. mit dem Versuch, Normen und Sinn kollektiv zu setzen (vgl. Reeken, Thießen 2016). Bei einer solchen Ehrung werden die Leistungen, aber auch die Werte der geehrten Person gewürdigt – an dieser Stelle haben sie auch einen gewissen Zukunftsbezug, die Werte werden als nachzuahmend angesehen. 

Wenn wir heute unsere Universität weiter nach Eberhard und Karl Eugen benennen, nehmen wir eine solche Ehrung vor. In unseren Augen ist das – nach Betrachtung der Kritikpunkte an beiden Personen – auch nach der Zurkenntnisnahme ihrer Leistungen nicht zu rechtfertigen.

Streicht ihr damit nicht auch die Erinnerung an die beiden Herrscher aus dem öffentlichen Gedächtnis und verhindert damit eine weitere kritische Auseinandersetzung?

Nein. Mit einer Umbenennung würde die Ehrung Eberhards und Karl Eugens durch den Namen der Universität Tübingen wegfallen. Nicht mehr als das. 

Damit bleiben sie interessante historische Personen und die Auseinandersetzung mit ihnen ist weiter spannend und wichtig. Das ist aber nicht vom Namen der Universität Tübingen abhängig. Im Gegenteil besteht die Chance, dass ihre Geschichte durch die Umbenennung einen neuen Bekanntheitsgrad erlangt – und das ist ja bereits jetzt mit der neuen Debatte der Fall. 

Darüber hinaus hat sich die Universität vorgenommen, die Beschäftigung mit Eberhard und Karl Eugen – und auch mit anderen für die Universitätsgeschichte relevanten Personen – aktiv zu gestalten und auszubauen, z. B. in Vortragsreihen, eine Professur zu jüdischer Geschichte, Forschungsprojekten etc. Wir sind gespannt auf die Projekte, die hier folgen mögen, und erinnern die Universitätsleitung gerne regelmäßig daran.

Literatur

– Württembergische Landesbibliothek: Graf Eberhard im Bart von Württemberg. Im geistigen und kulturellen Geschehen seiner Zeit, Stuttgart 1938.

– Kommission zur Überprüfung des Namens der Universität: Gutachten über die historische Dimension des Namens „Eberhard Karls Universität Tübingen“. Drucksache des Senats der Universität Tübingen Nr. 12, 05.05.2022.

– Lang, Stefan: Die Ausweisung der Juden aus Württemberg 1477-1498. In: Lorenz, Sönke; Schäfer, Volker (Hrsg.): Tubingensia. Impulse zur Stadt- und Universitätsgeschichte. FS für Wilfried Setzler zum 65. Geburtstag, Ostfildern 2008, S. 111-132.

– Maurer, Hans-Martin: Das Württembergische Kapregiment. Söldner im Dienste früher Kolonialpolitik (1787–1808). In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, 47 (1988), S. 291-307.

– Müller, Martina M.; Häuser, Iris: 1759-1805. Friedrich Schiller. Menschen aus dem Land: 10/2007. Stuttgart 2007.

– Reeken, Dietmar von; Thießen, Malte: Ehrregime. Perspektiven, Potenziale und Befunde eines Forschungskonzepts. In: Reeken, Dietmar von; Thießen, Malte (Hrsg.): Ehrregime. Akteure, Praktiken und Medien lokaler Ehrungen in der Moderne, Göttingen 2016, S. 11-29.

Weitere Literaturempfehlungen

– Frey, Winfried: Antijudaismus. In: Kotowski, Elke-Vera u. a. (Hrsg.): Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa, Bd. 2, Darmstadt 2001, S. 367-378.

– Hayoun, Jonathan (Regie): Eine Geschichte des Antisemitismus. Arte F, 2022.

Erstes FAQ zur Umbenennung

Antrag der studentischen Senator*innen auf Umbenennung

Stellungnahme der Verfassten Studierendenschaft

Pressemitteilung der Verfassten Studierendenschaft zum Abstimmungsergebnis

Pressespiegel

Disclaimer: Der Pressespiegel hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Lasst Taten sprechen! Hanna Veiler fordert die Umbenennung in der Jüdischen Allgemeinen (08. April 2021)

Der Name der Uni: Die Lichtgestalt ein Judenfeind? Ulrich Janßen im Schwäbischen Tagblatt über die Einrichtung der Historiker*innenkommission (06. Mai 2021)

Streit um Uni-Umbenennung: Es geht nicht um kleine Fehler Ulrich Janßen im Gespräch mit Lukas Weber über die Forderung der Verfassten Studierendenschaft (29. Juni 2021)

Zweifel an Graf Eberhard Ulrich Mendelin berichtet in der Schwäbischen Zeitung über die Diskussion (07. Juli 2021)

Prunksucht und Judenhass Ulrich Janßen im Schwäbischen Tagblatt über den Stand der Historiker*innenkommission (12. Juli 2021)

Umbenennung der Tübinger Universität: Ein Judenfeind, aber kein Hasser Ulrich Janßen macht im Tagblatt einen Unterschied zwischen Antijudaismus und Hass und berichtet über das vorgelegte Gutachten (12. Mai 2022)

Damals noch normal? Gutachten zur Umbenennung der Universität Anne Burckhardt in der Kupferblau über das Gutachten (31. Mai 2022)

Umbenennung der Universität Tübingen – Keine Ehre für Antisemiten Hanna Veiler in Belltower News über die Bedeutung des Namens für jüdische Studierende und die Kontinuität des Antisemitismus in Deutschland (18. Juli 2022)

OB Palmer gegen Umbenennung der Uni Boris Palmer äußert sich im Rahmen der Beerdigung eines Nachfahren einiger Adliger gegen die Umbenennung (03. Juli 2022)

Umbenennung der Tübinger Universität: Absolut untragbar? Ulrich Janßen im Schwäbischen Tagblatt über die Podiumsdiskussion vom 05. Juli (07. Juli 2022)

Lieber namenlos als historisch Prof. Jens-Hinrich Binder ind er FAZ über die Debatte aus seiner Perspektive, „Cancel Culture“ und das Problem, mit zu vielen Argumenten konfrontiert zu sein (07. Juli 2022)

Empörender Name Hanna Veiler in der taz über die Überfälligkeit der Umbenennung (14. Juli 2022)

Umbenennung der Eberhard-Karls-Universität: Warum Studierende dafür oder dagegen sind Ulrich Janßen im Schwäbischen Tagblatt über die bevorstehende Abstimmung und die Stellungnahme der Verfassten Studierendenschaft (20. Juli 2022)

Eberhard und Karl dürfen bleiben Ulrich Janßen im Schwäbischen Tagblatt zum Ergebnis der Abstimmung (22. Juli 2022)

Als Jüdin mit belarussischen Wurzeln Volker Rekittke im Schwäbischen Tagblatt im Gespräch mit Hanna Veiler über die Umbenennung, jüdische Lebensrealität und Identitäten (17. September 2022)

Studierendenrat Tübingen